Stand der Wissenschaft und Technik
Alternative Lösungen, der Ergebnisverwertung entgegenstehende Rechte, Informationsrecherchen
Die Erfassung und Beurteilung der Diversität der Bodenorganismen, genauer gesagt der Bodeninvertebraten, hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, zum Beispiel auf europäischer Ebene im Rahmen des EU-FP7-Vorhabens „EcoFinders“ (Griffiths et al., 2016).
Dabei wurde der große Einfluss dieser Organismen für die Bereitstellung der ökologischen Funktionen des Bodens herausgearbeitet (z.B. die Aufrechterhaltung der Bodenstruktur bzw. der Nährstoffkreisläufe). Hervorzuheben ist, dass für diese Funktionen nicht nur „Schlüsselarten“ (z.B. die tiefgrabende Regenwurmart Lumbricus terrestris), sondern auch die Interaktion vieler, oft unscheinbarer Invertebraten-Arten (zusammen mit den in diesem Vorhaben nicht bearbeiteten Mikroorganismen) verantwortlich sind (Creamer et al., 2016). Auch in Deutschland hat das Wissen über Bodenorganismen in den letzten Jahren primär dank wissenschaftlicher Untersuchungen (z.B. (Römbke et al., 2012)) deutlich zugenommen.
Auf der Anwendungsseite findet in Deutschland im Gegensatz zu beispielsweise den Niederlanden (Rutgers et al., 2008) keine standardisierte Erfassung der Bodenorganismen statt, obwohl mit den ca. 800 gut charakterisierten Bodendauerbeobachtungsflächen (BDF) sowie gut charakterisierten Referenzböden (Refesol; Bussian et al., 2005) eine umfassende Infrastruktur dafür zur Verfügung stünde (Barth et al., 2000). Auch führen bisher nur wenige Bundesländer eigene bodenbiologische Untersuchungen auf ihren BDFs durch. Parallel dazu fehlen diese (weitgehend gleichen) Methoden auch bei der Beurteilung der Wirkung einzelner, vor allem chemischer, Stressoren auf Bodenorganismen, z.B. bei den sogenannten „Higher-Tier-Tests“ im Rahmen der Zulassung von Pestiziden.
Die Informationen zur Bodenbiodiversität können für die Ableitung von Referenzwerten (d.h. Bodenorganismengemeinschaft nach Standort und dem jeweils typischen Boden) und damit zur Beurteilung der biologischen Qualität von Böden genutzt werden (Beylich et al., 2005; Breure et al., 2005; Römbke et al., 2016; Rutgers et al., 2008). Hinsichtlich der zu beprobenden Tiergruppen gibt es eine Vielzahl von Vorschlägen in der Literatur, wobei meist ein „Batterieansatz“ mit verschiedenen Invertebratengruppen – identifiziert anhand vorab festgelegter Kriterien – verwendet wird (Griffiths et al., 2016).
Damit wird es auch möglich, die im § 2 des (BBodSchG, 1998) beschriebene Funktion des Bodens als Lebensraum für Bodenorganismen zu beurteilen, denn bisher fehlen genauere Angaben zur Umsetzung dieses Auftrags in den nachgeschalteten Regelwerken (BBodSchV, 1999). Zugleich würden mit einem solchen Ansatz wichtige Aspekte der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (BMU, 2011) aufgegriffen, in der es explizit heißt: „Deutschland beherbergt eine gebietstypische, natürlich und historisch gewachsene Vielfalt an Böden, die ihre Funktionen für Mensch und Natur erfüllen. Sie bieten günstige Lebensbedingungen für die standorttypischen Arten und Lebensgemeinschaften, die in, auf und von den Böden leben.“ Als Ziel dieser Strategie der Bundesregierung wird des Weiteren genannt: „Die Böden als Träger der natürlichen Funktionen bleiben langfristig in ihrer Funktionsfähigkeit erhalten (BMU, 2011).“ Dieses Ziel ist allerdings nur zu erreichen, wenn man die jeweiligen Organismen kennt bzw., im Minimum, über Methoden verfügt, mit denen sie erfasst und bestimmt werden können. Ersteres ist seit der Verabschiedung der entsprechenden ISO-Richtlinien möglich, letzteres ist das Anliegen des hier beschriebenen Vorhabens.
Die Erfassung dieser hohen Biodiversität in Bodenproben mit morphologischen Methoden ist aufgrund des großen Zeitbedarfs und der damit verbundenen hohen Kosten bei der Bestimmung vieler Individuen sehr schwierig und unwirtschaftlich. Erschwerend kommt der in den letzten 20 Jahren sich verschärfende Mangel an gut ausgebildeten taxonomischen Expert*innen in der Bestimmung dieser Invertebraten hinzu. Jedoch wäre ein umfassendes Monitoring über klassische taxonomische Verfahren aus Gründen des Aufwands und der Kosten kaum umsetzbar, selbst wenn diese Expertise verfügbar wäre.
Molekulare Methoden werden immer häufiger zur Charakterisierung der Zusammensetzung von Wirbellosengemeinschaften eingesetzt. Diese Methoden arbeiten mit gemischten Proben, die aus einer Vielzahl von Individuen bestehen (Proben aus Insektenfallen, Planktonproben, Makrozoobenthos, Mageninhalte etc. (Cristescu, 2014).
Die Organismen werden hier nicht einzeln erfasst und bearbeitet, sondern die gesamte Probe wird homogenisiert, um daraus DNA von allen Individuen zu gewinnen und entweder mit oder ohne PCR-Anreicherung mittels (NGS-)Parallelsequenzierung (PCR: polymerase chain reaction; NGS: Next-Generation Sequencing) analysiert zu werden. Die DNA-Sequenzen werden durch bioinformatische Algorithmen sortiert und, durch den Abgleich mit der Referenzdatenbank, den verschiedenen Arten zugeordnet (Abb. 1). Dafür sind das Metabarcoding und die Shotgun-Metagenomik als die beiden wichtigsten Ansätze zu nennen. Diese Methoden setzen aber voraus, dass die einzelnen Schritte standardisiert und in ihrem Aufwand handhabbar sind.
Es wird oft darüber diskutiert, wie gut die mit morphologiebasierter Identifizierung erstellten Artenlisten die mit molekularen Ansätzen erstellten Artenlisten widerspiegeln. Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Artikel, die dies für eine Vielzahl von Taxa bewerten (Bálint, Nowak, et al., 2018). Das vom BMU/UBA geförderte Projekt METASOL (Leitung: J. Römbke) ist ein gutes Beispiel für wirbellosen Bodenlebewesen. METASOL zielt darauf ab, die Übereinstimmung von Artenlisten mit der Morphologie von Bodenproben (Umwelt-DNA, Invertebraten) zu bewerten, die auf ausgewählten Dauerbodenbeobachtungsflächen in Deutschland gesammelt wurden.
Unter Metabarcoding versteht man die Sequenzierung von taxonomischen Barcodes (artspezifische Genfragmente) mehrerer Arten eines Zieltaxons auf einem Hochdurchsatz-Sequenziergerät (Taberlet et al., 2018). Diese Barcodes werden vor der Sequenzierung durch PCR amplifiziert. Metabarcoding ermöglicht die kostengünstige Messung der Artenzusammensetzung von gesamten Gemeinschaften gleichzeitig in vielen Proben. Es gibt aber zwei Nachteile des Metabarcodings, die beide mit der PCR-Anreicherung zusammenhängen: 1. die Auswahl der Primer für die Barcode-Amplifikation erfolgt etwas willkürlich zulasten der Vergleichbarkeit zwischen den Studien, 2. die Biomasse-Schätzung ist aufgrund der Taxon-bezogenen Primer-Verzerrung schwierig (Piñol et al., 2019). Weil jedes auf Barcoding beruhende Verfahren die PCR-Anreicherung des DNA-Materials in einem der Verfahrensschritte voraussetzt, bilden die Ergebnisse beim Metabarcoding die quantitative Zusammensetzung der biologischen Probe nicht vollständig ab, weil die DNA-Fragmente von unterschiedlichen Arten mit unterschiedlicher Ausbeute angereichert werden.
Die Shotgun-Metagenomik von gepoolten Wirbellosen (d.h. Proben, die massenhaft mit einer Sammelvorrichtung wie einem Berlese-Trichter (Boden-Invertebraten) oder z.B. mit Schwebstofffallen (Aquatische Invertebraten) gesammelt werden) entwickelt sich als Alternative zum Metabarcoding (Cicconardi et al., 2017; Linard et al., 2018). Die Shotgun-Metagenomik umgeht die Anreicherung einzelner Barcode-Fragmente vollständig und sequenziert stattdessen zufällige Fragmente aus einem DNA-Extrakt. Sie stützt sich dabei auf eine Genomdatenbank zur Sequenzidentifizierung, ist vollständig kompatibel mit Sequenzdatenbanken, die beim Metabarcoding verwendet werden und kann sich bei diesen bedienen. Die metagenomische Laborarbeit verspricht durch das Entfallen des PCR-Schritts 1. eine größere Vergleichbarkeit zwischen den Studien (da keine Primer benötigt werden) und 2. eine genaue Biomasse-Schätzung aus den sequenzierten Reads, da der Primer-Bias nicht Taxon-bezogen ist. Aufgrund der zufälligen Auswahl der Fragmente ist zu erwarten, dass die sequenzierten DNA-Fragmente die taxonomische und quantitative Zusammensetzung der DNA-Fragmente des ursprünglichen DNA-Extrakts widerspiegeln (Ji et al., 2020). Im Vergleich zum Metabarcoding ist jedoch viel weniger bekannt, wie sich Shotgun-Metagenomik in realen Experimenten verhält. Derzeit ist der Ansatz aufgrund der höheren Sequenzierungsanforderungen teurer als Metabarcoding. Die Bioinformatik ist auch weniger entwickelt.
Bei der Anwendung genetischer Methoden zur Bestimmung von Organismen sollte nicht vergessen werden, dass für jede Art eine „Validierung“, d.h. eine vergleichende morphologische und genetische Bestimmung mit dem gleichen Individuum vorangehen sollte. Die Ergebnisse der morphologischen und genetischen Bestimmung werden – zusammen mit dem untersuchten Tier – als Referenzmaterial in einer öffentlich zugänglichen Datenbank (z.B. Hebert et al., 2003); LOEWE-TBG: https://tbg.senckenberg.de/tbg-project-miklos-balint-and-team/) und naturhistorischen Sammlung (Schilthuizen et al., 2015) abgelegt. Die Weiterentwicklung der Genom-Datenbanken ist ein entscheidender Schritt bei der Anwendbarkeit genetischer Methoden, ohne den es nicht möglich ist, die bisher an einen Artnamen angehängte biogeographische und ökologische Information zu verwenden.
Eine unzureichende Korrelation zwischen morphologischer und genetischer Information ist die potentiell größte Schwäche des ganzen molekularen Ansatzes. Dies zeigt sich z.B. daran, wenn bei entsprechenden Datenbank-Abfragen für eine genetische Sequenz mehrere, oft auf den ersten Blick unmöglich passende Artnamen ausgegeben werden. Solche vor allem in der Frühzeit der Anwendung genetischer Methoden mehrfach vorkommenden Fälle wurden in den letzten Jahren durch entsprechende Maßnahmen zur Qualitätssicherung deutlich seltener (Zinger et al., 2019). Zugleich nimmt die Standardisierung der praktischen Schritte, von der Probenahme (z.B. Boden unter aeroben Bedingungen: DIN EN ISO 18400-206, Bodeninvertebraten: DIN EN ISO 23611-1-6) über die eigentliche Laborarbeit bis hin zu den Rahmenbedingungen (z.B. die Lagerung der Proben), erheblich zu (z.B. (ISO, 2017; Straube & Juen, 2013)). Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die rasche technologische Weiterentwicklung einer Standardisierung dieser Methodik (noch) Grenzen setzt. Weiterhin unvollständig geklärt ist die Frage, inwieweit sich mittels genetischer Verfahren neben dem Vorkommen einer Art in einer Bodenprobe auch die jeweilige Anzahl der Organismen einer Art bestimmen lässt, aber die neuesten Entwicklungen in Metabarcoding und Metagenomik sind in dieser Hinsicht vielversprechend ((Ji et al., 2020), LOEWE-TBG: https://tbg.senckenberg.de/tbg-project-miklos-balint-and-team/).